Höhlen

Yanomami-Schamane in Trance
Yanomami-Schamane in Trance

Der Hypnose wird immer wieder attestiert, daß sie auf eine lange Geschichte zurückblicken kann, ja geradezu bis in die Steinzeit hinein. Wenn dem so wäre, müßten die Erscheinungsformen der Hypnose, die wir heute bei unseren Patienten beobachten, auch bei steinzeitlichen "Patienten" zu beobachten sein. Nun können wir uns nicht zurück in die Steizeit "beamen" lassen, um diese Hypothese zu testen. Eine andere Möglichkeit besteht darin, diese Annahme bei heutigen Naturvölkern, die noch auf Steinzeitniveau leben, zu überprüfen.

Dazu hatten wir im Sommer des Jahres 1989 Gelegenheit. Wir begannen von Puerto Ayacucho in Süd-Venezuela eine Reise zu den Yanomami-Indios, die im Grenzgebiet von Venezuela und Brasilien am oberen Orinoco leben. Die Erteilung einer Erlaubnis durch zuständige Behörde war relativ schwierig, da wir nicht nur für Touristen geschlossenes Gebiet betreten wollten, sondern zur Zeit unseres Aufenthaltes auch eine Malariaepedemie im Yanomamigebiet herrschte und überdies etwa eine Woche zuvor zwei venezuelanische Soldaten von Yanomamis mit Curarepfeilen getötet worden waren. Da es keine Straßenverbindungen durch den Regenwald gibt, hatten wir einen Einbaum, ein sogenanntes 'Bongo' gemietet, mit einem Bootsmann, einem Yekuana-Indio ('Tameyni') und dem Venezuelaner Cruz Sanchez als Führer. Nach einigen Schwierigkeiten (z.B. hatten wir nach zwei Tagen auf dem Orinoco einen Motorschaden und mußten anderthalb Tage warten, bis ein Ersatzmotor eingeflogen wurde) und weiteren langen Tagen auf dem Orinoco erreichten wir einen Tag nach dem letzten Militärposten Yanomamigebiet. In einem Yanomamidorf, wo wir nur außerhalb des Dorfes in Hängematten schlafen durften (Wer weiß, welche Dämonen wir in unserem Gepäck mitführten?), hatten wir abends Gelegenheit, einem schamanistischem Ritual zuschauen zu können. Die Behandlung fand in einer großen Wohnhütte mit Kindern, Erwachsenen und Hunden statt, die durch mehrere offene Feuer erleuchtet wurde. Dabei wurden dem Patienten von einem Schamanenschüler die Krankheit aus dem Körper "gesogen" und auf den Boden gespuckt (in Form von Splittern), eine sehr alte Form des Krankheitsverständnisses und der Behandlung, die als steinzeitlich zu gelten hat. Vor der Behandlung hatte sich der Schamane Yopo in die Nase blasen lassen, ein kurzfristig wirkendes Halluzinogen, um in der drogenerzeugten Trance das Ritual durchführen zu können.

Yanomami-Dorf (Shabono)
Yanomami-Dorf (Shabono)
Ein Yanomami läßt sich das Halluzinogen Y upo in die Nase blasen
Ein Yanomami läßt sich das Halluzinogen Y upo in die Nase blasen

Dabei versuchten wir, die drei Stufen einer Trancesequenz zu berücksichtigen, nämlich Einengung der Aufmerksamkeit, Änderung der Körperwahrnehmung und Aktivierung des Vorstellungsraumes. Zunächst wurde versucht, die Augen des Schamanen über entsprechende Bewegungen mit den Händen auf die Augen des Gegenübersitzenden zu lenken, was aber mißlang; der Schamane schaute nur auf die Bewegung der Hände, nicht aber in die Augen, auf die die Hände verwiesen. Danach versuchten wir die Körperwahrnehmung des Schamanen zu beeinflussen. Einer von uns setze sich hinter ihn, und einer saß vor ihm. Dann massierten wir von vorne seine Schläfen und von hinten seine Schultern. Dies nahm er mit einem gewissen Befremden zur Kenntnis, ohne sich davon aber besonders beeinflussen zu lassen. Zum Schluß blieb uns nur noch die Aktivierung des Vorstellungsraumes. Wir wußten aus der Literatur, daß der Schamane sich jeden Tagmehrere Male in der Yopo-induzierten Trance in einen Jaguar verwandelt.

Kurz nach dem Ritual kam der Schamanenmeister aus dem Hintergrund der Hütte und berichtete über Schmerzen im unteren Rückenbereich. Zuerst dachten wir an die Verabreichung von Schmerztabletten, erinnerten uns aber an unsere Erfahrung mit der Verteilung von Malariatabletten, die wir in anderen Yanomamidörfern versucht hatten; hier hatten die Indios die Tabletten größtenteils nicht genommen oder ausgespuckt, vermutlich weil nach ihrer Vorstellung von Behandlung einer Krankheit etwas 'raus' und eben nicht 'rein' muß. Wir entschieden uns daher gegen Aspirin und für Hypnose. Wenn Hypnose wirklich so ein altes Phänomen ist, sollten wir auch unserem prähistorischen Kollegen damit helfen können.
         
Diese so häufig wiederholte Erfahrung des Schamanen versuchten wir zu nutzen, indem wir ihm sagten, er solle an einen Jaguar denken, der durch den Urwald geht, was wir ihm über mehrere Dolmetscherstationen mitteilen ließen (Englisch, Spanisch, Yekuana, Yanomami). Unmittelbar nach dem Verstehen unserer Botschaft verlor sich sein Blick 'in die Ferne' und er schloß von alleine die Augen. Er erhielt dann auf Deutsch direkte Suggestionen zur Entspannung, und zwar sehr langsam mit 'Verweilen' auf den Vokalen. Nach zehn Minuten beendeten wir die Trance, indem seine Augenlider manuell hochgezogen wurden. Er berichtete dann, daß seine Schmerzen vergangen seien.

Bei unserer Nachuntersuchung am nächsten Morgen in Gegenwart der im offiziellen Schmuck erschienen Ältesten gewannen wir den Eindruck, daß er unter Nierensteinen litt. Vermutlich war uns am Vortag wohl geglückt, eine schmerzhafte, muskuläre Verkrampfung in Zusammenhang mit einer Schutzhaltung vorübergehend zu lösen. Für uns war beeindruckend, wie es möglich war über die tiefgreifenden kulturellen Schranken hinweg eine Trance zu erzeugen, indem wir eine Ressource nutzten, nämlich die so häufig erlebte 'Jaguar-erfahrung'.