Iban

Der Iban-Schamane Tubam ak Usop aus dem Langhaus Rumah Jayan

Während einer längeren Reise nach Sarawak, einem Bundesstaat von Malaysia auf Borneo, hat-ten wir Gelegenheit, die Verwendung von Trance bei den Iban kennenzulernen. Die Iban, ehe-malige Kopfjäger, sind die größte Bevölkerungsgruppe von Sarawak und verlieren in den mit Verkehrsmitteln (in der Regel Schiffe, Straßen gibt es so gut wie nicht) zugänglichen Teilen mehr und mehr ihre traditionelle Lebensweise. Dort sind sie in der Mehrzahl katholisch und wohnen überwiegend nicht mehr im Langhaus, in dem eine ganze Dorfgemeinschaft (um 250 Personen) unter einem Dach lebt, sondern in Einzelhütten.

In den schwerer zugänglichen Gebieten findet man auch heute noch Langhäuser, deren Bewoh-ner die traditionelle Trockenanbauweise von Reis mittels Brandrodung vornehmen und die der alten animistischen Religion verhaftet sind.
Nach einer mehrtägigen Reise mit lban-Langbooten und recht beschwerlichen Fußmärschen kamen wir in ein solches Gebiet, dessen Bewohner sich nicht erinnern konnten, hier jemals einen Weißen gesehen zu haben. Ein Langhaus war allerdings nach Auskunft des Tuai Rumah (Langhauschef) vor zehn Jahren von (vermutlich) einem Wissenschaftler besucht worden, der in dem zwei Tagesreisen entfernten menschenleeren Urwaldgebiet die auch heute noch dort vorkommenden Orang-Utan beobachten wollte.
In diesem Gebiet lernten wir einen etwa 70jährigen Schamanen aus dem Langhaus Rumah Jayan kennen, den wir mehrfach besuchten. Mit Hilfe eines Iban-Dolmetschers, den wir aus Sarikei mitgebracht hatten, erfuhren wir über seine Arbeit, die er häufig in Trance durchführt.
Der Schamane, Manang in der Sprache der Iban, verwendet drei Zeremonien zur Behandlung von Krankheiten. Bei eng umschriebenen vorübergehenden Schmerzen wird in einer kurzen Zeremonie von etwa 5 Minuten Dauer (begama) der Schmerz in Form eines imaginären Blasrohrpfeils herausgezogen, wobei keine Trance herbeigeführt wird.

Bei der Belian-Zeremonie und bei der Belian-Bebunah-Buyu-Zeremonie hingegen versetzt sich der Manang in Trance, um die Seele des Patienten i der Trance vom Einfluß böser Dämonen zu befreien und sie dann einzufangen. Das Wort für Trance heißt denn auch in Iban "Seele fangen" (nyangka semengat). In der Trance, in der der Schamane das Bewußtsein für die unmittelbare Umgebung verliert (und nach Bericht eines Augenzeugen "sein Augäpfel weiß werden"), gelingt es ihm, den Dämon zu sehen, der die Seel des Patienten belästigt bzw. von ihr Besitz ergriffen hat. Normalerweis befinden sich die Seelen der Mitglieder einer Familie auf Blumen in de "geistigen" Welt. Seine Aufgabe ist es nun, mit Hilfe des mit ihm verbündeten guten Geistes Yang und der Hilfe anderer Schamanen, die in der Trance zugegen sind, dem Dämon die Seele abzujagen und sie zurück auf die entsprechende Blume zu bringen. Gelingt dies nicht, ist nicht nur der Patient krank, sondern auch die gesamte Familie geschwächt. Während der Verfolgung des Dämons (Belian-Zeremonie) bleibt er und die anderen Schamanen immer hinter seinem mächtigen guten Geist Yang, der den Dämon mit Speeren bewirft, bis dieser die Seele des Patienten fallen läßt und der Schamane diese ergreifen und zurückbringen kann. Es war für uns schon recht beeindruckend, wie dieser sehr gelassene und in sich ruhende Mann erzählte, daß er während der Verfolgung von Dämonen sehr große Ängste hätte. Viele Gefahren würden in Form von bösen Geistern auftreten, die ihn bedrohen. Aber obwohl er so große Angst hätte, sei er tapferer als die anderen Schamanen und hätte deswegen soviel Erfolg. Sein größter Erfolg sei die Befreiung eines ganzen Langhauses von einem bösen Dämon gewesen, wobei er zwei Tage und zwei Nächte für die Zeremonie gebraucht hätte. Angeblich habe er immer Erfolg, nur einmal sei ihm ein Mädchen gestorben. Dieser große Erfolg wurde auch von anderen Iban bestätigt.
Tubam ak Usop nimmt nicht jeden Patienten. In der Regel, so berichtete er, träume er in der Nacht von dem oder den Patienten, die am nächsten Tag zu ihm kommen würden, und befragt dann seinen guten Geist Yang, ob er diese Patienten annehmen solle.

Yang scheint dann abzuschätzen, ob er stark genug für die zu besiegenden Dämonen ist und teilt ihm die Entscheidung mit. Der Schamane hat dann keine Wahl mehr und muß den Patienten, der am nächsten Tag kommt, nehmen oder auch nicht, je nach der Entscheidung Yangs. Werden die Patienten von ihm akzeptiert, so können sie sicher sein, daß sie geheilt werden. Patienten mit gebrochenem Arm etc. schickt Tubam ak Usop in die flußaufwärts gelegene Urwaldklinik. Es kommt auch häufig vor, daß der Leiter der Urwaldklinik, den wir besuchten und der den Ruf des Schamanen bestätigte, ihm Patienten schickt, mit denen er nicht fertig wird.
Die Patienten des Schamanen gehören zwei Kategorien an. Zum einen sind es Patienten, die unter Ängsten leiden, die von quälenden Gedanken geplagt sind, oder auch über Lähmungen klagen. Die Leiden dieser Patienten gehen darauf zurück, daß ein böser Dämon um sie herum ist und "ihren Körper durchschneidet", sie aber noch nicht in Besitz genommen hat. Mit diesen Patienten, die in der Regel von alleine kommen, führt er die Belian-Zeremonie durch, mit der der Dämon aus der Nähe der Seele des Patienten vertrieben wird.

Zum anderen sind es Patienten, meistens Frauen, die nicht alleine kommen, sondern von ihren Familien gebracht werden, weil sie immer nur apathisch auf ihrem Lager liegen, den Haushalt und die Kinder vernachlässigen und immer tief in Gedanken versunken und nicht ansprechbar sind. Mit ihnen führt er die Belian-Bebunah-Buyu-Zeremonie durch. Das Alter dieser Patienten liegt zwischen 12 - 30 Jahren. Manchmal könnten diese Patienten aber auch aus der Apathie in einen plötzlichen Anfall von Wut und Ärger hinüberwechseln. Er hätte auch schon beobachtet, daß sie morgens anders seien als am Abend. Anders als bei den Patienten der ersten Kategorie seien diese von Dämonen besessen und er müsse die Dämonen töten, um die Patienten zu befreien. Dazu geht er nachts, wenn alle schlafen, auf die große Veranda (Tanju) des Langhauses, während der Patient im Bilek (Wohneinheit der Familien im Langhaus) des Schamanen bleibt. Auf der Veranda bietet er dem Dämonen ein Opfer dar und wartet in Trance auf den Dämon. Dieser kommt mit Freunden und lacht über den Schamanen, der mit einem Parang (eine Art Machete) ihm gegenübersitzt und darauf wartet, daß der Dämon sich umdreht, um seinen Freunden von der Opfergabe anzubieten. Sobald er dies tut, schlägt der Schamane dem Dämon mit dem Parang den Kopf ab. Diese Zeremonie erfordere großen Mut und könne nur von Schamanen vollbracht werden, die einen mächtigen Verbündeten hätten.
Tubam ak Usop ist ein "Spätberufener", der eine wirkliche Berufung erfahren hat (betapa), d.h. gefährliche Situationen bestanden hat (unbewaffnet alleine nachts im Dschungel auf einen Geist gewartet hat, ohne daß ein gefährliches Tier ihm etwas anhaben konnte). Vor 12 Jahren kam er vom Fischfang in sein Bilek und sah dort den riesigen Geist Yang, der ihn zunächst bedrängte und ihn später zum Schamanen berief.

Was passiert mit dem Patienten, wenn der Therapeut, der Schamane, in Trance geht. Wir waren bei einer Belian-Zeremonie zugegen, bei der der Patient von Frauen aus dem Langhaus an beiden Händen festgehalten wird und man während der Zeremonie mit ihm spricht, Scherze macht und auch laut lacht. Der Schamane zieht sich während der Zeremonie einen Teppich über den Kopf und bringt sich über schwingende Körperbewegungen in Trance (die Melanau-Schamanen an der Nordküste Borneos haben dafür eine besondere Schaukel). Während der Zeremonie verharrt er die meiste Zeit in einer ruhigen Sitzposition auf dem Boden seines Bilek, das trotz der offenen Feuerstelle nur spärlich beleuchtet ist. Nur manchmal kommt es zu kurzen, abrupten Zuckungen unter dem Teppich. Während der Zeremonie sitzen manche Patienten apathisch mit geschlossenen Augen zwischen den Frauen, andere wiederum unterhalten sich mit den Anwesenden.

Tubam ak Usop scheint in der Regel psychische Leiden zu behandeln, wobei es sich bei den beschriebenen Kategorien von Patienten zum einen um depressive Patienten handelt und bei der anderen um Patienten mit Angstbzw. Erregungszuständen. Diese Charakterisierung der beiden Kategorien als zwei verschiedene Krankheitsbilder ist von uns aufgrund der Schilderungen des Schamanen vorgenommen worden. Tubam ak Usop hat aber auch Symptome geschildert, die nicht in dieses Schema passen. Allerdings ist für ihn auch nicht das Symptom für die Zuordnung eines Patienten zu einer der beiden Kategorien entscheidend, sondern die Art des Einflusses eines Dämonen auf die Seele des Patienten. Hat der Dämon schon Besitz von der Seele ergriffen oder belästigt er sie nur?
Seine Heilungsmethode erinnert an das Exorzismusritual der katholischen Kirche. Auch hier versucht ein Berufener (Priester), mit Hilfe eines mächtigen Geistes (Gott) eine Seele von einem mächtigen Dämon (Satan) zu befreien. Dabei ist der Schamane aber aktiver als der Priester, der nur rituelle Formeln spricht. Der Schamane hingegen muß das Heilsgeschehen halluzinieren und sich dabei völlig von der"realen" Umgebung lösen, damit also über kognitive Fähigkeiten verfügen (Vorstellungs-, Absorptionsvermögen, Aufmerksamkeitsfokussierung), die nach Auffassung der modernen Hypnoseforschung auch die Personen auszeichnen, die den hypnotischen Zustand in besonderem Maße erfahren können.

Die Kennzeichnung des Heilsgeschehens als halluzinatorisch wäre für den Schamanen und seine Patienten völlig unakzeptabel. Im animistischen Weltbild sind alle Gegenstände belebt und von Geistern und Dämonen bewohnt, sei es der riesige Baum hinter dem Langhaus, das Reisfeld flußabwärts oder die Schildkröte unten im Fluß. Hier liegt wohl - neben seiner beeindruckenden Persönlichkeit - auch eine der Erklärungen für den großen Heilerfolg des Schamanen, der nur in einem sozio-kulturellen Kontext möglich ist, in dem spirituelle Ereignisse denselben Realitätsgehalt haben wie "handfeste" Ereignisse in der greifbaren Realität. Wenn der Schamane dem Patienten, den er zur Behandlung zugelassen hat, sagt, daß er in der Trance "real" die Seele des Patienten vom Dämon befreit sieht, dann ist dies in unserem Kulturkreis vergleichbar mit der Aussage des Arztes, er habe auf der Röntgenaufnahme gesehen, daß die zuvor gebrochene Rippe wieder völlig zusammengewachsen ist.
Bei den Iban haben wir auch geheiratet. Da es undenkbar ist, daß die Hochzeitszeremonie ohne Familie stattfindet, wurden wir von jeweils einer Familie adoptiert. Vor der Hochzeit geht der Bräutigam mit den Männern zum Tanzen und Reisweintrinken; die Braut geht mit den Frauen zum Ankleiden. Anschließend werden beide gertrennt voneinader zu dem Langhaus geleitet, in dem die Hochzeit stattfindet. Die Hochzeit ist vollzogen, wenn der für Zeremonien zuständige lamang einen Hahn dreimal kreisförmig über die Köpfe des Brautpaares bewegt. Anschließend wird der Hahn getötet und alle Hochzeitsgäste (wir hatten ca. 200) bekommen einen Tupfer Blut auf die Stirn. Danach wird ausgiebig gegessen, Reiswein getrunken und anschließend bis tief in die Nacht hinein getanzt.