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Selbsthypnose bei Tourette-Syndrome
Gilles de la Tourette (1857-1904) lieferte die erste wissenschaftliche Beschreibung des Tourette-Syndroms, die er „maladie des tics“ nannte (de la Tourette, 1885). Er war übrigens Schüler des berühmten Neurologen Jean Martin Charcot, einem bekannten Vertreter der französischen Hypnose um 1880 (s. Saal 7 unseres Museums, erstes Bild links).
Menschen mit Tourette-Syndrome leiden unter z.T. vielfältigen Tics (s. dazu entsprechende Videos bei youtube.com). Im motorischen Bereich tritt häufig Grimassieren auf oder auch die Imitation des Verhaltens anderer Menschen (Echopraxie) Es kommt zum Rufen/ Herausschreien von obszönen oder aggressiven Wörtern (Koprolalie) oder zum Wiederholen von Wörtern (Echolalie).
Die Symptome treten mehrfach bis sehr häufig am Tag auf, während sie im Schlaf in der Regel völlig zurückgehen. Emotional belastende Situationen verstärken die Tics. Die Symptome beginnen in der Kindheit, werden in der Pubertät stärker und können im späteren Erwachsenenalter nachlassen. Tourette-Symptome werden von den Betroffenen als unkontrollierbar erlebt und führen zu erheblichem Leidensdruck bis hin zur Suizidalität. Die Ätiologie der Erkrankung ist noch nicht geklärt. Es gibt u.a. Hinweise auf genetische Defekte (O’Rourke et al., 2009), auf ein Ungleichgewicht im Neurotransmitterhaushalt des Gehirns (Dopamin, Serotonin; Wong et al., 2008) sowie auf neuropsychologische Störungen (Eddy et al., 2009).
Selbsthypnose ist eine erfolgreiche Behandlungsoption bei Tourette-Syndrom
Lazarus und Klein (2010) behandelten 33 Kinder mit Tourette-Syndrom (27 Jungen im Alter von durchschnittlich 11,5 Jahren und 6 Mädchen im Alter von durchschnittlich 9.1 Jahren) mit Selbsthypnose. Alle Kinder nahmen an zwei Sitzungen von jeweils 90 Minuten Dauer teil, in denen sie Selbsthypnose lernten, die sie dann dreimal am Tag durchführen sollten. Dabei lernten sie in Hypnose verschiedene Visualisierungstechniken zur Kontrolle des tic-Impluses, z.B. den tic-Impuls in den großen Zeh zu lenken (Transfertechnik). Falls die Kinder wünschten, konnten sie an zusätzlichen Sitzungen von jeweils 60 Minuten Dauer teilnehmen. Um eine Standardisierung der Vorgehensweise zu erreichen, wurde allen Kindern zusätzlich zum individuellen Training ein Video gezeigt, das den Ablauf des Trainings bei einem Kind mit Tourette-Symptomen zeigte (Symptome vor Behandlung, Hypnosetraining, Symptomreduktion nach Behandlung).
Im Katamnesezeitraum von 2 ½ Monaten nach Behandlungsende wurde die Tic-Aktivität anhand eines „Tic-Tagebuches“ über eine Skala (0 – 10) beurteilt. Dabei zeigt sich bei 26 von 33 (79 %) der behandelten Kinder eine deutliche Besserung der Symptomatik, was die Ergebnisse einer früheren Untersuchung mit allerdings sehr wenigen Patienten bestätigt (Kohen & Botts, 1987).
Die Studie von Lazarus und Klein weist darauf hin, dass bei dieser schweren Erkrankung mit z.T. dramatischen, als unkontrollierbar erlebten Symptomen Selbsthypnose zu deutlichen Besserungen führen kann. Es ist zu hoffen, dass weitere, methodisch verbesserte Studien in diesem Bereich folgen.
Literatur
de la Tourette, G. (1885). Étude sur une affection nerveuse caracterisée par l'incoordination motrice accompagnée d'écholalie et de coprolalie, Archive de la Neurologie, 9, 19-42, 158-200.
Eddy, C.M., Rizzo, R. & Cavanna, A.E. (2009). Neuropsychological aspects of Tourette syndrome: A review. Journal of Psychosomatic Research, 67, 503-513
Lazarus, J.E. & Klein, S.K. (2010). Nonpharmacological treatment of tics in tourette syndrome adding videotape training to self-hypnosis. Journal of Developmental & Behavior Pediatrics, 31, 498-504.
Kohen, D.P. & Botts, P. (1987). Relaxation-imagery (self-hypnosis) in Tourette Syndrome: Experience with four children. American Journal of Clinical Hypnosis, 29, 227-237.
O’Rourke, J.A., Scharf, J.M., Yu, D. & Pauls, D.L. (2009). The genetics of Tourette syndrome: A review. Journal of Psychosomatic Research, 67, 533-545.
Wong, D., Brasic, J.R., Singer, H.S, et al., (2008). Mechanisms of dopaminergic and serotonergic neurotransmission in Tourette syndrome: Clues from an in vitro neurochemistry study with PET. Neuropsychopharmacology, 33, 1239-1251.